Eine Geschichte vom Schragerl

von Monika Forster

Unsichtbare Helfer

"Schnell, schnell, wir haben einen Großeinsatz!" Ganz aufgeregt kam ein kleines Männlein in die Höhle gestolpert. Vor lauter Aufregung sprühten die Funken nur so aus seinen Augen und das feuerrote Haar stand wirr vom Kopf ab. Sein langer Bart, der ihm bestimmt bis zu den Knien reichte, war über die rechte Schulter nach hinten geschwungen und wehte hinter ihm her. Er machte auf seine Freunde einen recht aufgelösten Eindruck. Seine Freunde waren in nichts von ihm zu unterscheiden, einer sah aus wie der andere. Alle trugen einen roten, langen Mantel, einen grauen Pullover und eine braune Hose. Das Lustige waren jedoch noch die Ohren, die wie kleine Schalen von ihren Köpfen abstanden. Und in jedem rechten Ohr steckte ein runder, goldener Ohrring. Auch in der Größe unterschieden sie sich nicht. Sie waren alle ungefähr so groß wie ein kleines Kind. 

Jetzt kam Leben in die kleinen Kerle. "Was ist denn bloß passiert, du bist ja total aus dem Häuschen. Beruhige dich erst einmal und dann erzähl was los ist." redeten alle auf den Ankommenden ein. Dieser ließ sich erst einmal ganz erschöpft auf einer großen Wurzel nieder, jemand reichte ihm etwas zu trinken und hastig begann er zu erzählen: "Als ich heute auf meinem Rundgang durch die Häuser des Dorfes war, kam ich auch bei Martin vorbei. Ihr wisst doch, dass seine Eltern die letzten drei Tage verreist waren und er eine Party um die andere gefeiert hat. Heute Nacht, so gegen 23:00 Uhr wollen seine Eltern wieder zu Hause sein und Martin hatte ihnen ganz fest versprechen müssen, nicht zu viele Partys zu feiern und außerdem das Haus bis zu ihrer Ankunft wieder in Ordnung zu bringen. Aber was sehe ich da, als ich durchs Fenster schaue, überall Unordnung, es sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Aber das Schlimmste ist noch, dass Martin vor dem Fernseher eingeschlafen ist und durch nichts geweckt werden kann. Ich habe einen furchtbaren Lärm gemacht und gehofft er würde dadurch aufwachen. Aber nichts zu machen. Und da Martin ja sonst ein richtig netter und braver Junge ist, werden wir ihm wohl helfen müssen. Aber schaut mal auf die Uhr, es ist 22:10 Uhr. Wir werden uns mächtig ins Zeug legen müssen, dass wir noch alles schaffen."
 

Im Nu waren alle zum Aufbruch bereit. Sie krabbelten aus ihrer Höhle, zwängten sich durch das Gestrüpp, das den Eingang bedeckte und machten sich zu Fuß auf den Weg ins Dorf. Es war eine sternklare Nacht und der Vollmond erhellte mit seinem silbrigen Licht ihren Weg.

Ganz außer Atem kamen sie endlich vor Martins Haus. Sie sahen durchs Fenster, dass dieser noch immer fest schlief. Nur gut, dass sie wussten, wie man unbemerkt in versperrte Häuser kam. Das Kellerfenster war nur gekippt und mit etwas Mühe hatten sie es schnell entriegelt und schlüpften hinein. Sie liefen leise die Treppe hinauf und erreichten die Wohnräume. Ach du meine Güte, wie sah es denn da aus. Überall standen halbleere Flaschen, verschmutzte Gläser, leere Pizzakartons, Tüten mit Süßigkeiten. Chips lagen verstreut und zertreten auf dem ganzen Fußboden. Jemand hatte Cola verschüttet, ein anderer war hinein getreten und hatte überall dunkle, klebrige Flecken hinterlassen. Teller mit Pommes und Ketchup standen gestapelt in der Küche. Ein schreckliches Bild.

Sofort krempelten die kleinen, sympathischen Erdzwerge ihre Ärmel hoch und los ging´s. Sie kehrten, wischten, trennten Müll in verschiedene Tüten, spülten und putzten bis das ganze Haus von oben bis unten glänzte. Zufrieden betrachteten sie ihr Werk. "Das haben wir prima hingekriegt!" lobten sie sich erst einmal selbst. "Jetzt müssen wir uns nur noch um Martin kümmern." Als sie ihn auf dem Sofa liegen sahen, erblickten sie eine große Tafel Schokolade, die geöffnet neben ihm lag. Wie auf Kommando blickten sie sich alle an, ein verschmitztes Lächeln huschte über ihre Gesichter und alle waren sich einig. Das ist unsere Belohnung! Leise holten sie die Schokolade von der Couch, teilten sie gerecht auf, legten sich alle der Länge nach auf den Fußboden und ließen Rippchen für Rippchen auf der Zunge zergehen. Fast hätten sie vor lauter Wohlbehagen vergessen, dass sie ja nicht zum Spaß hier waren. Sie mussten ja noch etwas Wichtiges erledigen! So standen sie auf, gingen zum Sofa und hoben Martin vorsichtig hoch, dann schleppten sie ihn keuchend über die Treppe hoch in sein Zimmer. Sie zogen ihn aus und legten ihn ins Bett. Dabei begann er zu blinzeln und schlug die Augen etwas auf. Vor ihm standen mindestens zehn Zwerge, die ganz lustig anzusehen waren und jeder von ihnen hatte Schokolade um den Mund geschmiert. Martin war jedoch so müde, dass er glaubte zu träumen. Zufrieden drehte er sich zur Seite und schlief weiter. Die kleinen Zwerge jedoch liefen noch einmal ganz leise ins Wohnzimmer und schalteten das Fernsehgerät aus. Die Kirchturmuhr schlug elfmal und schon hörte man ein Auto vor dem Haus halten. Das waren Martins Eltern.

Die kleinen Zwerge liefen in den Keller, zwängten sich durchs Fenster und machten sich dann auf ihren Heimweg, in den nahe gelegenen Wald. Da sie sehr scheue Wesen waren, kamen sie nur nachts, wenn die Menschen schliefen und sie keiner sehen konnte. Sie freuten sich riesig, dass sie wieder einmal in einer Notlage geholfen hatten. Immer wieder hörten sie die Hilferufe der Menschen in ihren Höhlen. Jedes Mal, wenn irgendjemand "Schragerl, hilf mir!" rief, waren sie zur Stelle. Allerdings prüften sie vorher noch, ob es sich auch um einen guten Menschen handelte, denn den Bösen halfen sie nicht...